75 Jahre METALL NRW Festschrift

85 75 Jahre METALL NRW AUS JOURNALISTISCHER PERSPEKTIVE Doch es war ein ereignisreicher Frühling. Corona hatte Köln und das Land mit voller Wucht gepackt. Die Überschriften imWirtschaftsteil des „Kölner Stadt-Anzeiger“ lauteten „Jedes vierte Unternehmen fürchtet Insolvenz“, „NRW bürgt für Flughäfen und Krankenhäuser“ oder „99 Prozent weniger Passagiere“. 700 Maschinen der Lufthansa standen nutzlos und teuer am Boden, und das Aus der Germanwings war gerade besiegelt. Der frühe Frühling 2020 war also leider nicht die Zeit für zeitlos-ausgeruhte Interviews jedweder Art. Also passierte das, was bei Tageszeitungen manchmal passiert. Das Kirchhoff-Interview wurde „geschoben“, wie es im Journalistensprech heißt. Denn zumindest in der gedruckten Zeitung braucht ein großes Interview viel Platz auf einer „freien Seite“. Und den gab es nicht, denn immer neue Hiobsbotschaften verdrängten Tag für Tag jedes „ausgeruhte Stück“. Doch es kam der Tag, ein langes Wochenende mit weniger ganz schlechten Nachrichten im Vorlauf, da tat sich die lang ersehnte große Lücke auf, eben für ein großes Interview, das ja schon seit Langem sauber aufgeschrieben und autorisiert war. Ohne dass jemand Zweifel hatte, passierte es alle Konferenzen und so fand es sich in einer ziemlich dicken Ausgabe auf der Wirtschaftsseite 1 des „Kölner Stadt-Anzeiger“. Trotz des langen Wochenendes klingelte zu sehr früher Stunde das Telefon. Mehrfach. Warum? Die Kölner Bosse von IG Metall, Verdi, DGB und zahlreichen anderen Gewerkschaften mussten lautstark ihren Unmut kundtun. Keiner in der Redaktion hatte aufmerksam genug wahrgenommen, dass das Interview mit dem Arbeitgeberpräsidenten ausgerechnet am 1. Mai, dem Tag der Arbeit, dem Feiertag der deutschen Arbeiterbewegung erschienen war. Diesen, vorsichtig gesagt, wütenden Männern und Frauen zu erklären, dass der Tag des Erscheinens, Arbeitgeberinterview am höchsten Gewerkschaftsfeiertag, kein Affront gegen die Kölner Arbeiterklasse war, sondern schlicht ein unbedachtes Verschieben eines großen Textes, dauerte lang. Von der „Kehrtwende eines sozialliberalen Kölner Traditionsblatts“ war die Rede, und von Provokation. Nach nur drei Jahren haben sich die Wogen geglättet. Die Gewerkschafter Kölns reden wieder mit mir und kommen gleichermaßen zu Wort wie die Vertreter der Arbeitgeberseite. Ausgewogen, hintergründig und vertrauensvoll ist das Verhältnis

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